Ehrliche Wolle

Als ich neulich einem Vertreter die Zusammenstellung meines Warenangebots mit vielen Garnen aus Naturfasern beschrieb, strahlte er mich an und sagte: “Sie mögen also ehrliche Wolle!” Treffender kann man es nicht ausdrücken! Natürliche Wolle, die nur gereinigt, gesponnen und eventuell gefärbt ist, habe ich am liebsten. Lässt man jeder Faser ihre natürliche Struktur, dann ist die Wolle wasser- und schmutzabweisend und auch wärmeregulierend (schützt vor Kälte ebenso wie vor Hitze). Jede mechanische und/oder chemische Bearbeitung, wie z.B. eine “Superwash”-Behandlung, verletzt die natürliche Struktur der Faser und zerstört die positiven Eigenschaften. Wenn naturbelassene Wolle in den Regen kommt, kann man sie schütteln, und das Wasser perlt ab. Wenn Wolle mit “Superwash”-Ausrüstung in den Regen kommt, saugt sie sich augenblicklich voll.

“Ehrliche Wolle” habe ich immer schon in meinem Sortiment gehabt: Die Naturwoll-Garne aus Lettland. Sie sind gereinigt, versponnen und gefärbt, und haben keine Superwash-Ausrüstung. Nach Angabe der lettischen Wollmanufaktur “Paces Vilnas” bestehen die Garne zu 50% aus Wolle vom Gotlandschaf und zu 50% aus Wolle vom lettischen Schwarzkopfschaf. Auch West Yorkshire Spinners haben viele “ehrliche Garne” in ihrem Sortiment, so z.B. “The Croft” (100% Shetland Island Wolle) und “Bo Peep Pure” (100% Falkland Island Wolle). Beide haben keine Superwash-Ausrüstung.

 

Jede/r mag selbstverständlich für sich entscheiden, zu welchem Material sie/er greift für die Handarbeit. Das hat ja auch etwas damit zu tun, ob man bereit ist, das Kleidungsstück von Hand zu waschen, oder ob man lieber die Waschmaschine benutzen möchte. Kleidung aus Naturwolle muss außerdem gar nicht so oft gewaschen werden, weil natürliche Wolle auch geruchsabweisend ist. Lüften reicht oftmals. Jedenfalls habe ich für diejenigen, die “ehrliche” Wolle schätzen, diesen Herbst zwei neue Qualitäten: Abuelito und Abuelita des Herstellers Laneras. Es sind naturbelassene Garne. Die Wolle ist nur gereinigt und versponnen, nicht gefärbt. Es gibt nur zwei Naturfarben – ein helleres Braun und ein dunkleres Braun – und zwei Lauflängen. Abuelito ist die dickere mit 195m auf 100g, Abuelita die dünnere mit 385m auf 100g. Die Wolle der Garne kommt vom Corriedale-Schaf, eine Rasse mit weichem Fell. Das einzelne Haar hat einen Durchmesser zwischen 25 und 31 Micron und eine Länge bis zu 15 cm.

 

Nicht ganz so “ehrlich” kommt eine weitere Qualität des Anbieters Laneras daher: Barefoot, ein 100% wollenes Sockengarn. Es hat eine “Superwash”-Ausrüstung und ist gefärbt. Die verwendete Wolle kommt vom Polwarth-Schaf. Die einzelne Faser ist noch länger – bis zu 18 cm – und feiner – 21 – 26 Micron. Wer auch bei Socken keine aus Erdöl gewonnene Kunstfaser mehr möchte, findet hier die Lösung. Bei einer Lauflänge von 365m auf 100g ist das Garn ein wenig dicker als ein übliches 4fach Sockengarn.

 

 

 

Der Hersteller Laneras tut außerdem, was in der Branche äußerst selten ist: Er gibt die Schafrasse an, von der er seine Wolle gewinnt. Auch der englische Hersteller West Yorkshire Spinners nennt die Schafe, deren Wolle er verwendet: Es sind Bluefaced Leister, Wensleydale, Falkland und Shetland. Wer Wolle vom Merino Schaf anbietet, schreibt das natürlich auf das Etikett. Merino gilt seit einiger Zeit als “Premium”-Qualität unter den verschiedenen Schafwollen. Allerdings gibt es zahlreiche andere Schafrassen, deren Fell ebenfalls zart und weich ist und zudem längere Fasen hat (ein Haar vom Merino-Schaf hat nur eine Länge zwischen 5 und 12,5 cm), was sich beim Verspinnen positiv auswirkt. Wer tiefer in das Wissen um Schafe einsteigen möchte, dem empfehle ich das Buch “The Fleece am Fiber Sourcebook”. Das Buch ist in englisch geschrieben. Ein Buch in deutscher Sprache, das einen vergleichbar umfassenden Überblick bietet, habe ich nicht gefunden. Oder zum Lukasmarkt nach Mayen kommen – dort kann man am Schaftag 19.10.2022 verschiedene Schafrassen anschauen. Zum Schluss noch ein paar Fotos von Schafen: Die Betreiber von Laneras präsentieren eines ihrer Tiere und zeigen, wie das unversponnene Woll-Fliess nach der Schur vor dem Verspinnen aussieht. Das dritte Foto stammt aus einem Prospekt der Wests Yorkshire Spinners und zeigt ein Schaf der Rasse Wensleydale. Da kann man gut  erkennen, wie lang die einzelnen Locken sind.